Zum Inhalt springen

Chemnitzer Türme

    Blick vom Rathausturm Richtung Südwesten

    Ein Stimmungsbild aus dem Jahr 1930

    Wenn sich Dresden die Kuppel seiner Frauenkirche, Leipzig die wuchtigen Konturen des Völkerschlachtdenkmals zum Wahrzeichen genommen hat, dann darf die dritte der sächsischen Großstädte, Chemnitz, die Silhouetten des alten Jakobikirchturms und des ehemaligen Rathausturmes als sein Wahrzeichen in Anspruch nehmen. Wie Bruder und Schwesterlein stehen die beiden seit Jahrhunderten eng nebeneinander, der Kirchturm den Rathausturm um eines Turmes Haupteslänge überragend, massig, trutzig, verwittert und doch mit eigenartig geschwungenen Linien, und wenn heute auch die hochragenden Kaufhäuser; die Geschäftspaläste und Hochhäuser ihre das Häusermeer weit ins Land hinaus beherrschende Stellung wesentlich eingeengt haben, so ist es doch noch nicht zwei Jahrzehnte her, dass sie einem schon meilenweit den ersten Gruß der alten Heimat zuriefen, wenn man mit der Bahn der lieben alten Stadt zustrebte, noch nicht zwei Jahrzehnte, daß droben in luftiger Höhe der Türmer wohnte und der Rundgang um sein Stübchen einen herrlichen Blick eröffnete auf das Gewirr der Straßen, auf das Durcheinanderwogen des Großstadtverkehrs, das von oben wie ein aufgeschreckter Ameisenhaufen sich anschaute, auf die allmählich ansteigenden grünen Ausläufer des Erzgebirges und die weit gestreckten dunklen Flächen der Wälder vor den Toren der Stadt.

    Von dem alten Jakobikirchturm, um den in den ersten blauen Frühlingstagen die Schwalben schwippen und schrillen und uralte ewig junge Lenzsehnsucht im Menschen auferwecken, weiß man geschichtlich nicht allzu viel. Dagegen steht urkundlich fest, daß der Rathausturm 1486, also rund zwei Jahrzehnte nach dem „Roten Turm“ errichtet worden ist. Damals hieß er der „Siegerturm“ und war der Stolz der Stadt, trug er doch die erste richtige Stadtuhr, die bis dahin eine Sonnenuhr ersetzt hatte, und der ganze Stolz der damaligen Zeit auf ihn spricht aus den Worten des Chronisten, wenn er von „seinem Turm“ schreibt.

    Als dritter Turm, als ältester der Stadt, träumt heute noch, verdeckt vom Häusermeer, von den blitzenden Glasflächen eines modernen Filmpalastes, der „Rote Turm“, der einzige Rest der alten Stadtbefestigung, mit einer prächtigen Barockhaube und finsteren dickwandigen Verliesen. Er wurde um 1466 erbaut und steht heute unter Denkmalschutz.

    Damit hat man aber auch schon die eigentlich die historischen Türme der Stadt aufgezählt. Was dann noch kommt, gehört alles der neueren Zeit an, denn die alten Kirchen, die Nikolaikirche und die Altchemnitzer Kirche, wurden erst vor vierzig Jahren aus Brandtrümmern neu erbaut. Erst spätere Geschlechter holten das Versäumte nach, nicht immer zum Vorteil der architektonischen Wirkung.

    Blick vom Rathausturm Richtung Norden, im Hintergrund die Schloßkirche

    Man erkennt das am deutlichsten an der aus dem einstigen Franziskanerkloster hervorgegangenen Paulikirche, eine Schwesterkirche des Frankenberger, von demselben Freiberger Baumeister errichteten Gotteshauses. Betritt man das Innere der beiden Kirchen, so ist man überrascht von der Übereinstimmung der Anlage und der architektonischen Auffassung, steht man vor Ihnen, so erkennt man deutlich, wie die Lösung der Aufgabe in Frankenberg weit besser als in Chemnitz gelungen ist, wo man nachträglich das massive breitangelegte Gebäude mit einem schlanken, fast möchte man sagen zierlichen Turm abzuschließen vermeint hat.

    Was dann noch an Türmen für Chemnitz charakteristisch ist, stammt ans neuer, zum Teil sogar aus jüngster Zeit. Es ist die wuchtige, förmlich ein Symbol des trutzigen Lutherliedes darstellende Turmsymphonie der Lutherkirche auf den ziemlich steil ansteigenden ersten Erzgebirgshöhen der uralten Salzstraße Halle – Prag, es ist der eckige und doch architektonisch prächtig herausgearbeitete Rolandsturm des neuen Rathauses, der sich als dritter zu dem Geschwisterpaare am Markte gesellt, und dann hineinweisend in die neue Zeit, Symbol des Industriezeitalters, Zeuge moderner aber wohltuender Sachlichkeit, der imposante Turn, am Verwaltungsgebäude unseres größten industriellen Unternehmens.

    1

    Pauli-Kirche

    Als "Neue Johanniskirche" 1756 eingeweiht, wurde sie 1875 und 1928 umgebaut und innen erneuert. Im 2. Weltkrieg zerstört, scheiterte nach versuchtem Wiederaufbau in den 50er Jahren die Erhaltung. Sie wurde im Zuge der sozialistischen Stadtentwicklung 1961 gespengt.

    2

    Altes Rathaus

    zwischen 1498 und 1500 errichtet, der Turm mehrfach beschädigt durch Brand, Blitzschlag und Bomben. Rathaus mit Turm bis 1950 wieder aufgebaut.

    3

    Jacobi-Kirchturm

    um 1486 gebaut, erhielt als letzter seine Turmhaube 1986 zurück.

    4

    Rathausturm

    Der 60 Meter hohe Turm des zwischen 1907 und 1911 errichteten neuen Rathauses.

    5

    Markuskirche

    Die 1895 eingeweihte Kirche auf dem Sonnenberg mit den zwei Turmhelmen.

    6

    Turm des zwischen 1889 und 1891 errichteten Rathausbaues am Beckerplatz, siehe dazu der Beitrag: https://chemnitz-gestern-heute.de/das-alte-neue-rathaus/ .

    Gleich rechts daneben der Turm der Johanniskirche.

    Die Türme, die, offenbar einstmals eine besondere Liebhaberei der Chemnitzer, die den Chemnitzer Talkessel beherrschenden Höhen krönten, sind im Sterben begriffen. Die Eisenkonstruktion des ehemals so beliebten Friedrich-August-Turmes auf der Stollberger Höhe hat man umgelegt.

    Das Aussichtsgerüst auf dem Geiersberg hat vor Jahren schon ein Sturmwind umgeworfen, und auch der viele Jahre gesperrte Turm auf dem Beutenberg gehörte wohl schon längst der Vergangenheit an, hätte hier nicht der Erzgebirgsverein tatkräftig zugegriffen. Nur noch von ihm, vom Adelsberg und vom Totenstein grüßen Türme hinab ins Tal, in dem die Maschinen fauchen und die Spindeln schwirren und droben von der Bornaer Höhe der trutzige Bismarckturm. Und die Zeiten werden wohl nicht mehr ferne sein, da sie allein noch als Charakteristikum unter den Türmen in Frage kommen, denn im Zeitalter der Hoch- und Turmhäuser haben ja die alten Türme keine Bedeutung mehr. Sie müssen sich ducken und verschwinden. Eine neue Zeit dämmert herauf.

    (Quelle: Artikel aus dem Frankenberger Tageblatt, 23. Januar 1930, zu finden unter SLUB-Dresden.de)