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Filmpalast Roter Turm

    Die Chemnitzer Kinohistorie, die mittlerweile über 125 Jahre andauert, ist unglaublich reichhaltig und umfangreich. Am Ende des 19. Jahrhunderts begann man mit der Vorführung sogenannter „lebender Fotografien“, erstmals im September 1896 im Mosella-Saal“.

    Zu Beginn des 1. Weltkrieges gab es in Chemnitz bereits 11 Filmtheater. Ende der 1920er Jahre entstanden erste Großkinos mit neuesten kino- und tontechnischen Anlagen. Das war vor allem dem Tonfilm geschuldet, der seinem Siegeszug angetreten hatte. Ab 1933 besaß Chemnitz (einschließlich Siegmar und Harthau) 19 Lichtspielhäuser mit ungefähr 11.000 Plätzen.

    Ein besonders ereignisreiches Jahr in der Eröffnung neuer Spielstätten war das Jahr 1929. Am 20. März dieses Jahres erfolgte die Eröffnung des „Luxor-Palastes“ in der Hartmannstraße 11 mit 1.600 Plätzen. Am 26. September 1929 folgte die Eröffnung des Filmpalastes „Roter Turm“, den ich in diesem Beitrag vorstelle, und am 9. Oktober 1929 die „Schauburg“ auf der Augustusburger Straße 31, deren Geschichte bereits in diesem Beitrag im Jahr 2022 behandelt wurde.

    Der Filmpalast „Roter Turm“

    lag im Zentrum der Stadt in der ehemaligen Herrenstraße, heute steht die Galerie „Roter Turm“, an dessen Stelle.

    Am 26. November 1928 fiel die alte Gefangenanstalt der Spitzhacke zum Opfer. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts stand im Dunkel der Herrenstraße noch das alte Arresthaus, angelehnt an den „Roten Turm“. Dieses alte Gebäude hatte zu diesem Zeitpunkt keine Daseinsberechtigung mehr, denn schon längst hatte das Kgl. Land- und Amtsgericht auf dem Kassberg eine eigene Justizvollzugsanstalt.

    Das Grundstück des ehemaligen Kinos im heutigen Stadtbild

    „In den Gängen konnte man kaum die Hand vor den Augen erkennen. Die Zellen waren finstere, vergitterte Räume mit beschmierten Wänden, spinnwebbehangen, verstaubt. Ödes graues Gemäuer, umgeben von einem rußigen Hof. Dieses unhygienische Gefangenenhaus war das Zeichen einer überlebten Epoche.“  So begann der Redakteur der Chemnitzer Neuesten Nachrichten am 29. August 1929 seinen Bericht über den Neubau des Lichtspielhauses.

    Nach dem Abriss begann man unverzüglich auf den rund 738 Quadratmeter freigewordenen Bodens einen Kinoplast zu errichten. Auf dem verhältnismäßig beschränkten Platz war in kaum zehnmonatiger Bauzeit ein modernes Lichtspieltheater entstanden. Bauherren waren Gerhard Kroog mit seinem Berliner Kompagnon Philipp Zimmer, die nach den Entwürfen des Chemnitzer Architekten Bruno Kalitzki, in dessen Händen auch die Bauausführung lag, das Haus entstehen ließen.

    Der Architekt hatte mit es mit einer geschickten Grundrisslösung verstanden, mit der doch beengten und ungewöhnlichen Platzsituation fertigzuwerden. Der Zuschauerraum verlief amphitheaterähnlich schräg zur Straßenfront und bot im Parkett 700 und im Rang 350 Sitzplätze. Diese Gestaltung führte zur Anlage des erleuchteten Glasturmes über der baupolizeilich geforderten vier Meter breiten Hofzufahrt, der ähnlich des Kaffees EFREUNA, als Blickfang mit Leuchtreklame diente.

    Innenansicht des Lichtspieltheaters

    Über dem Erdgeschoß aus roten Porphyr erhob sich die symmetrische, glatte Gebäudefront, deren Ziegelmauerwerk mit rosarotem geschliffenen Steinputz verkleidet war, der erstmals in Chemnitz verwendet wurde. Die offene Galerie im Obergeschoß diente als Fluchtweg für die Filmvorführer. Im Inneren waren die Kassenhalle ebenso die Haupttreppe teilweise mit Marmor ausgelegt und verkleidet. Für die Holzarbeiten wurde Mahagoni gewählt, reiche Wandmalereien gaben den Räumen eine besondere Note. Die Wände der Umgänge zwischen dem Vestibül und dem Theater waren mit Seide bespannt. Garderobenanlagen gab es im Parkett und im Rang. Die Lampen strahlten indirektes Licht aus.

    Am 28. September 1929 war es dann schließlich soweit. Der neue Kinopalast, der auch für den neuen Tonfilm geeignet und ausgestattet war, wurde mit dem Stück „Frühlingsrauschen“ von Charlotte Habenbruch, Regie Wilhelm Dieterle, eröffnet. Mit dem Bau des modernen Lichtspielhauses wurde zugleich der historische Rote Turm renoviert und dem Publikum zur Besichtigung freigegeben. Von einem Treppenpodest in 6 Meter Höhe führte eine Brücke vom Gebäude zum Turm. Damit wurde er erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (rot markiert im Vergleichsbild).

    Später wurde an der Fassade eine große Leuchtreklametafel angebracht, damit die Kinowerbung noch besser von der Friedrich August-Straße zu erkennen war. Eine großstädtische Vergnügungsstätte war entstanden, die jedoch, wie die anderen Spielstätten auch, zeitnah die Wirtschaftskrise zu spüren bekam. Ein Überangebot an Plätzen, im Oktober 1932 war auch noch der Filmpalast Metropol hinzugekommen, führte zum erbitterten Preis- und  Konkurrenzkampf zwischen den Kinobesitzern. 

    Aufnahme um 1939 – 1940 wurden die letzten beiden alten Häuser der Herrenstraße abgerissen

    Am 31. August 1933 wurde die offene Handelsgesellschaft der beiden Bauherren aufgelöst. Gerhard Kroog war ab diesem Zeitpunkt Alleineigentümer. Zum 1. Januar 1935 wurde das Geschäft auf ein Jahr an Walter Camp verpachtet und dieser gleichzeitig Inhaber der Gesellschaft. Es muss wohl ein gutes Verhältnis gewesen, denn mit Beginn des Jahres 1939 wurde das Pachtvertrag auf unbestimmte Zeit verlängert. Schon seit September 1935 war Walter Camp auch Inhaber der Lichtburg, geschäftliche und familiäre Verknüpfungen folgten. Camp hatte sich in Kroogs Tochter verliebt…, die Heirat folgte.

    Zum 23. April 1940 erhielt Augusta Margarete Dorothea verehel. Camp, geb. Kroog Einzelprokura für die Kinogesellschaft erteilt, zeitgleich wurde sie auch Kommanditistin in der 1937 gegründeten Gesellschaft „Lichtburg Filmtheater Inh. Walter Camp & Co“ des Ehemannes. Ein kleines Chemnitzer Kinoimperium war entstanden.

    Die Bombardierungen 1945 zerstörten auch das Lichtspielhaus. Lange Zeit lag das Gelände um den Turm brach, ehe 1965/66 die spätere „Karl-Marx-Stadt-Information“ an dieser Stelle entstand.

    (Quellen: Beitrag zur Kinogeschichte, W. Bausch, in „VS-Aktuell 01/2001“; Artikel zur Neueröffnung in den Chemnitzer Neuesten Nachrichten vom 29.08.1929, Buch „Chemnitz in den Goldenen Zwanzigern“ – Jens Kassner; div. Ausschnitte im Reichsanzeiger; u.a.)