Den mit der Bahn Ankommenden zeigt sich Chemnitz zunächst vortheilhaft in seinem Hauptbahnhof, dessen Räumlichkeiten sich in stattlichem Geviert um einen weiten, abends schön erleuchteten Lichthof schließen.
Betritt man durch’s Südthor desselben die Stadt, so führt uns rechts der Weg am alt renommirten Hotel Reichold und dem jüngst eröffneten Carola-Hotel vorüber. Letzteres, die vormals v. Zimmermann’sche Villa, präsentiert sich von außen als ein vornehmer Bau in stilvoller Gothik, während das Innere, besonders Treppenhaus, Speisesaal und Königszimmer durch Feinheit der Stilisierung sowie fast fürstliche Pracht glänzen. Hotel wie Garten haben elektrische Beleuchtung.
Die Karolinenstraße hinabgehend, erblicken wir den mit Anlagen geschmückten Schillerplatz, an dessen Südseite sich bald die neue Petrikirche erheben wird, während sich links vor uns der geräumige Neustädter Markt ausbreitet.
An der linken Seite desselben entlang, vorüber an dem Denkmal mit der Büste des Kurfürsten August’s 1., welches an der Stelle errichtet ist, wo im Jahre 1556 das große Chemnitzer Schießen unter Theilnahme des kurfürstlichen Hofes stattfand, führt der Weg durch die breite Königstraße, die an ihrem unteren Ende nach recht- und links einen hübschen Blick in die erst neuerdings durch Überwölbung der Gablenz geschaffene Brückenstraßen-Promenade bietet.
Am südlichen Ende der Königsstraße am „Johannisgarten“ vorüber, der links abzweigenden Straßenbahn folgend, gelangt man über den Johannisplatz in die innere Johannistraße, an deren Eingang ehemals das feste, seit 1597 mit Thurm versehene St. Johannisthor stand. Am Ende der in Anlage und Häusern ihr Alter bekundenden Straße steht links am Eingang zur Bachgasse die sogenannte alte Apotheke – die Adler Apotheke, eins der ältesten Patrizierhäuser der Stadt. Bereits Jahre 1495 befindet es ich im Besitz des aus Augsburg eingewanderten Bürgermeisters und Großindustriellen Ulrich Schütz (wohl von diesem erbaut) birgt in seinem Erdgeschoß seit d. J. 1667 die älteste und bis Anfang dieses Jahrhunderts einzige Apotheke der Stadt und erinnert mit seinem sehenswerthen, altdeutschen, von Säulen getragenen Galerien umrahmten Hof an die Vaterstadt des ältesten Besitzers.
Die Johannisstraße mündet in den Markt ein, der, von Ost nach West länglich hingestreckt, sich vielfach gegliedert, als Neumarkt, Hauptmarkt, Holz- und Roßmarkt darstellt. Den Neumarkt, früher Topfmarkt genannt, ziert ein in Renaissance ausgeführtes Wasserbassin, während früher daselbst das 1498 erbaute, mit dem verzierten Giebel nach dem Markt gerichtete, dreistöckige Gewand-, Kauf-, Zeug- und Tanzhaus der Stadt stand. An der Nordseite des Marktes liegt das alte Rathaus, mit verziertem Giebel im Mittelbau und einem angebauten, stattlichen Uhr- oder Zeigerthurm. In den Jahren 1496-98 erbaut, 1617 im Innern nur ausgebrannt, hat es seine ursprüngliche Gestalt behalten, birgt seit Jahrhunderten in seinem Erdgeschoß eine Reihe von Verkaufs-Hallen „unter den Lauben“ genannt, während die oberen Stockwerke, seitdem die städtischen Behörden das neue Rathhaus in der Poststraße inne haben, dem Standesamte, der Sparkasse und der 1869 gegründeten, sich stetig weiter entwickelnden Stadtbibliothek eingeräumt sind.
Hinter dem Rathhaus, am Eingang zur inneren Klosterstraße, steht die älteste Kirche der Stadt, die Jacobikirche, mit nebengebautem, großen Glocken- und kleinerem Dachthurm. Das Kirchhaus, ein würdiger, gothischer Bau, in der neuesten Zelt innen und außen verständnisvoll restauriert, zeichnet sich durch sein, nach der Klosterstraße zu gelegene», reich mit architektonischem Schmuck verzierte- Portal aus. Der an die Kirche sich anschließende Kirchplatz, im Mittelalter noch von der Stadtgemeinde als Friedhof benutzt, weist eine Anzahl älterer Gebäude auf, unter denen namentlich die alte, 1486 erbaute, nach dem großen Brand von 1634 im Jahre 1611 wieder neu errichtete Stadtschule, das Lyceum, heute zur Poliklinik umgestaltet, bemerkenswerth ist. — Die dem Rathhaus gegenüberliegenden Seiten des Hauptmarktes vervollständigen mit ihren älteren Patrizierhäusern das alterthümliche Bild, welches der Markt bietet, und vor Allem erinnert der „Römische Kaiser“ , das erste und älteste Hotel der Stadt, mit seiner dem 16. Jahrhundert entstammenden Thürornamentik – das Judith-Lucretia-Portal – an die mittelalterliche Blüthezeit von Chemnitz, ein Gebäude, das in der Zeitfolge im Besitz der den Augsburger Schützen und Welfern verwandten Familie der Thiele und der reichbegüterten Kaufherrnsippe der Neefe gewesen ist.
Nachdem man den nicht minder alterthümlichen Holzmarkt mit dem Eingang in die kleine Brüdergasse überschritten hat, betritt man den Roßmarkt, dessen schönes Asphaltpflaster mit den umstehenden, stattlichen Häusern einer vergangenen Periode recht bezeichnend kontrastiert. An der Nordwestecke des Platzes, am Eingang zur großen Brüdergasse stand das alte, der im Mittelalter hochangesehenen Tuchmacherfamilie der Arnolde gehörige Haus, von dessen Erker herab, wie der Volksmund erzählt, Tetzel gepredigt haben soll. Von der Südostecke des Roßmarktes führt ein Durchgang durch den alterthümlichen, massig gebauten „Schütze’s Hof“, in welchem sich die St. Johann-Nepomukkirche der hiesigen römisch-katholischen Gemeinde befindet, nach dem Marktgäßchen, einer der lebhaftesten Verkehrsadern der hiesigen Stadt, die in ihren Häusern aber an die Periode des Niedergänges in den früheren Geschicken der Stadt erinnert.
Von hier aus die Langestraße überschreitend, gelangt man durch die Chemnitzer- auf die Poststraße, wo uns der Weg an der stattlichen Front des Hauptpostgebäudes hin, an der Kronenstraße, in welcher sich dem Blicke der vornehme Neubau der hiesigen Reichsbankfiliale darbietet, vorüber führt zum neuen Rathhaus, dem Hauptsitz der städtischen Behörden. Gegenüber dem Rathhaus befindet sich der korrekt in maurischem Stil gehaltene Mosellasaal, ein beliebter Besuchsort Einheimischer und Fremder. Der Platz zwischen Rathhaus und der in geschmackvollen Stile erbauten Börse ist durch reizende Gartenanlagen verschönt, in deren Mitte sich das Denkmal des um die Stadt so hoch verdienten Großindustriellen Becker befindet, während sich im Hintergrund ein altes Thurmhaus der ehemaligen Zwingermauer als Erinnerung an das alte Chemnitz in hübschem Gegensatz von der modernen Umgebung abhebt. Am Ende der Poststraße nochmals den Johannisplatz berührend, gelangen wir durch die äußere Johannisstraße und Zschopauerstraße noch der St. Johanniskirche, der ältesten Vorstadtkirche von Chemnitz, an welche sich nach Süden zu der alte Friedhof anschließt, der seit 1864 nicht mehr benutzt wird. Noch erinnert hier manches an die Ruhestätten, die einst die Mitglieder der vornehmsten Familien der Stadt, wie der Schütze, Neefe, Platner u. A. hier fanden. Die schönen Anlagen des Friedhofs durchschreitend, betreten wir vom Südthor desselben aus wieder die Zschopauerstraße, gelangen durch die Logenstraße an dem städtischen Real-Gymnasium, der Webschule und höheren Töchterschule vorüber nach der Kunsthütte, dem Museum von Chemnitz.
Das Gebäude der Kunsthütte, von dem gleichnamigen 1860 gegründeten Verein auf ausgedehntem, zwischen Annaberger- und Brauhausstraße gelegenem Areal erbaut, so daß mit der Zeit Vergrößerungen des Baues stattfinden können, enthält vor allem eine recht hübsche Gemäldesammlung, in welcher namentlich neuere Meister recht gut vertreten sind (geöffnet Mittwoch und Sonntag 10—3 Uhr). Ferner befinden sich hier die städtischen naturwissenschaftlichen Sammlungen (geöffnet Sonntag 10—12 Uhr), die in ihrer zoologischen, botanischen und mineralogisch-geologischen Abtheilung recht Bedeutendes bieten. Außerdem sind Bibliothek, Archiv und Museum des 1872 gegründeten Vereins für Chemnitzer Geschichte in den Parterreräumen der Kunsthütte untergebracht (geöffnet: Bibliothek und Archiv, Freitag, 5—7 Uhr Nachm., Museum, Sonntag 10—12 Uhr). Durch Unterbringung dieser letzteren Sammlungen in geräumigere Lokalitäten würden dieselben dem Publikum zugänglicher gemacht werden.
Von der „Kunsthütte“ aus durch die Annaberger-, Chemnitzer, Lange- und Nicolaistraße, am Roßmarkt vorüber durch die große Brüdergasse gelangt man zur St. Paulikirche (bis in die neueste Zeit die neue Johanniskirche genannt) zu der im August 1750 der Grundstein gelegt wurde. Bis zu dieser Zeit hatten an der Stelle die Trümmer des 1481 – 1485 erbauten Franziskaner-Barfüßerklosters gelegen, zu welchem Kurfürst Friedrich der Weise den Grundstein gelegt haben soll, während die Baukosten von den kirchlich gesinnten Patrizierfamilien der Schütze, Neefe u.a. gesteuert worden waren. Nach der Einführung der Reformation hatte dann in einem Theil des Klosters ein sächsischer Hauptmann, ein ehemaliger wegen seiner Auszeichnung im Türkenkrieg von Kaiser Karl V. geadelter Tuchmacher, Peter Pfefferkorn aus Langenleuba, von Herzog Moritz ein Domizil erhalten; hier im Kloster hielt Herzog Moritz im Jahre 1546 vor Ausbruch des Schmalkalden’schen Krieges eine Versammlung der Meißnischen Stände, während im November 1632 die kaiserlichen Truppen das Kloster als Hauptvertheidigungspunkt gegen die vom Kaßberg aus die Stadt beschießenden Schweden benutzten. 1613 brannte das verfallene Kloster vollends ab.
Von der Paulikirche führt uns die mit Promenaden geschmückte Theaterstraße an das Stadttheater an dem Theaterplatz, in dessen Anlagen sich das Siegesdenkmal befindet. Weiterhin zeigt sich uns in den neben der 1.Bezirksschule befindlichen Anlagen dieser Theaterstraße der denkmalartig errichtete versteinerte Baumstamm und erinnert daran, daß Chemnitz durch seine fossilen, Araucarien und Psaronien, deren Sammlung sich im städtischen Museum befindet, auch ein in den Kreisen der Paläontologen hochbedeutender „klassischer“ Ort ist.
Bei weiterem Begehen der Theaterstraße kommen wir an den beiden größten Buchdruckereien der Stadt, der von J. C. F. Pickenhahn und Sohn und an der Buchdruckerei von Alexander Wiede vorüber. Am Casino, dem Gesellschaftshaus der im Jahre 1787 errichteten Casinogesellschaft und an dem komfortabel eingerichteten Hotel Stadt Gotha vorüber führt dann der Weg wieder durch die Königstraße zurück nach dem Bahnhof, wenn man es nicht vorzieht, sich in einem der vielen vorzüglichen Hotels niederzulassen, und dann auch durch eine Wanderung um Chemnitz sich das Bild der Stadt zu vervollständigen, die wir in einem der nächsten Beiträge antreten werden.
Leicht gekürzter Originaltext von Wilhelm Zöllner, Oberlehrer am Realgymnasium Chemnitz im damaligen Schreibstil.
(Quellen: Sächsischer Lokal-Anzeiger Chemnitz, 27.Mai 1885; Bilder u.a.: Chemnitz am Ende des 19.Jahrhunderts, Geschichte der Fabrik- und Handelsstadt Chemnitz)