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Gebrüder Wertheimer

    Bei meiner Recherche zur innerstädtischen Bebauung und zu Gebäuden stoße ich regelmäßig auch auf Firmen und Handelsunternehmen, die bisher kaum bekannt sind, jedoch im Vorkriegschemnitz einen nicht unbedeutenden Platz in der Geschäftswelt einnahmen.

    Eines davon ist die Firma

    Gebrüder Wertheimer

    deren Firmengeschichte ich in einigen Zügen vorstellen möchte.

    Annonce kurz vor der Eröffnung 1896

    Die beiden Kaufleute Abraham Wertheimer und Leopold Wertheimer, die 1889 von Magdeburg nach Chemnitz gekommen waren, gründeten das Unternehmen. Als „Gebrüder Wertheimer, Mäntelfabrik“ wurde es am 1. Oktober 1889 auf Folium 3340 ins Chemnitzer Handelsregister eingetragen. Sie gehörten zur ersten Generation jüdischer Kaufleute in Chemnitz, die sich in der Stadt eine dauerhafte wirtschaftliche Existenz aufbauen konnten.

    Erster Firmen- und Wohnsitz war das Geschäftshaus am Markt 7, der ehemalige Gasthof „Blauer Engel“, den ich im letzten Beitrag vorgestellt habe. Schon im nächsten Jahr konnte man schon einen eigenen Telefonanschluß (Nr. 228) vorweisen. Die neuen technischen Errungenschaften waren den Firmengründern nicht fremd. Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert erarbeitete man sich mit der Anfertigung von Kleidungsstücken in der Konfektionsbranche einen guten Ruf.

    Dieses spiegelte sich in der Notwendigkeit wider, größere Geschäftsräume zu suchen und zu beziehen. Dies fanden sie ab 1896 im neu errichteten Geschäftshaus an der Ecke Roßmarkt/Holzmarkt, errichtet von Ziegeleibesitzer Joh. Gottfried Ulbricht, das mit einer markanten Turmbekrönung sofort dem Betrachter auffiel.

    Das neue Geschäftshaus um 1900

    Bruno Schellenberger griff diese Idee auch für seinen Prachtbau an der Ecke der Königstraße am Johannisplatz im selben Jahr auf. Im Geschäft, postalisch erst Holzmarkt 11, ab 1898 dann Roßmarkt 12, konnte man nun alle Arten von Mänteln für Kinder, Damen und Herren, Jacken, Umhänge, Kostüme und Anfertigungen für die Automobilisten und Cyclisten auf 2 Etagen erwerben. Mit den überwiegend eigenen Anfertigungen – nach den neuesten Modeschöpfungen aus Berlin, Paris und Wien – galt man damit als eines der Führenden am Platze.

    1906 wurde Abraham Wertheimer Alleininhaber des Geschäfts. Sein Bruder schied aus der Firma aus.

    Anfang des 20. Jahrhunderts litt jedoch das Chemnitzer Geschäftsleben „unter marktschreierischer Reklame und unlauteren Manipulationen“. Eine nennenswerte Anzahl Chemnitzer Firmen entschloss sich 1908, eine Interessengemeinschaft der Manufaktur- und Konfektionsgeschäfte ins Leben zu rufen, um „die eingerissen Mißstände zu beseitigen und die guten kaufmännischen Gepflogenheiten wieder zur Geltung zu bringen.“ Ein guter Vorsatz. Dabei waren alle Großen der Chemnitzer Konfektionshäuser, Vorsitzender wurde Arthur Schellenberger, Prokurist der Firma Bruno Schellenberger – Stellvertreter Ferdinand Scholvin, i. Fa. Richard Schlesinger – Schriftführer Leopold Heinrich, Geschäftsführer der Fa. Gebrüder Wertheimer – dessen Stellvertreter Valentin Löhr der Fa. M. Schneider, die später das markante Modehaus am Eingang zum Marktgässchen/Ecke Langestraße errichtete, u.a.

    Schon 1910 besaß die Firma auch einen Wagen zur Lastenbeförderung, um die benötigten Rohstoffe selbst zu organisieren aber auch Auslieferungen an ihre betagten und solventen Kunden für die Maßanfertigungen vornehmen zu können. Doch hinter den Kulissen brodelte es: Im Februar 1911 lesen wir von einer Streikandrohung und Forderungen der Damenschneider. Sie verlangten eine Regelung/Verkürzung der Arbeitszeit und Fortzahlung der Löhne bei Feiertagen. Nachdem diese abgelehnt wurden, reichten einige Schneider Anfang März ihre Kündigung ein.

    1912 erkrankte Abraham Wertheimer, der Gründer der Firma, damals 53jährig, infolge großer beruflicher Belastung schwer und verstarb nach kurzem Leiden am 21. Dezember 1912.

    Werbung aus dem Jahre 1915

    Seine Witwe Rosalie, geb. Lindenfeld wurde Nachfolgerin als Geschäftsführerin des Unternehmens. Am 3. August 1914 , nach Änderung des Geschäftsstatus in eine Offene Handelsgesellschaft zur „Fa. Gebrüder Wertheimer – Spezialgeschäft für Damen- und Mädchenbekleidung“, kam Adolf Wassermann (späterer Ehemann der Tochter Charlotte) als 2. Geschäftsführer hinzu.

    In diese Zeit fällt auch eine erneute örtliche Veränderung der Geschäftsräume.

    Die Firma H.&C. Tietz errichtete 1913 auf der Poststraße ihr mondänes großstädtisches Verkaufshaus, das wir auch heute noch im Stadtbild als „Das Tietz“ finden. Vorausgegangen war aber die Nichtverlängerung des Mietvertrages zum Jahresende 1913 bei Herrn Lesser am bisherigen Standort Poststraße 2/Ecke Innere Johannisstraße, die einen Umzug forcierte. Tietz hatte 1903 dort seine Chemnitzer Filiale eröffnet. Das auffällige Gebäude am Johannisplatz wurde noch 1913 an Carl Zenker, einem bekannten Chemnitzer Tabakwaren- und Lottogeschäftsinhaber verkauft, 1914 radikal von diesem umgebaut und ab 19. September 1914 neuer Sitz der Firma Gebrüder Wertheimer „Spezialhaus für Damenkonfektion“.

    Ein Schritt der Firma zur geschäftlichen Mitte des alten Chemnitz. Unter dem Geschäftsführer Adolf Wassermann entwickelte es sich zum größten Fachgeschäft am Platz und gehörte zu den größten seiner Art in Sachsen. Es beschäftigte 1922 ca. 60 kaufmännische und ca. 60 gewerbliche Angestellte, die Neuheiten in bester Ausführung anfertigten. Im selben Jahr kaufte Wassermann auch das Geschäftshaus Poststraße 2.

    1923 dann der Übergang zu einer neuen Gesellschaftsform und der Neueintrag ins Handelsregister zu „Fa. Gebrüder Wertheimer – Aktiengesellschaft – Spezialgeschäft für Damen- und Mädchenbekleidung“, am 14. Juni. Zu den Initiatoren der Aktiengesellschaft, die bei der Gründung sämtliche Aktien übernommen haben, gehörten neben Adolf Wassermann und Rosalie verw. Wertheimer geb. Lindenfeld, Frau Charlotte verehelichte Wassermann, geb. Wertheimer. Dr. med. Kurt S. Glaser und Frau Alice verehelichte Glaser geb. Wertheimer, sämtlich in Chemnitz. Nach dem Stand der Bilanz vom 1. Januar 1923 wurde das Gesellschaftsvermögen mit 10 Millionen Papiermark angegeben. Dies wurde nach der beantragten Genehmigung der Goldbilanz 1924 inflationsbedingt auf 100.000 Goldmark umgestellt. Die Aktien blieben weiterhin in Familienbesitz. Betrug bei der Goldmarkeröffnungsbilanz zum 1.1.1924 der Besitz noch ca. 196.000 GM, war dieser zum Jahresende 1926 bereits auf ca. 411.000 GM angewachsen. Goldene Zwanziger Jahre für das Unternehmen.

    Doch die Weltwirtschaftskrise traf die Firma hart. Maßanfertigungen und teure Eigenproduktion waren unerschwinglich geworden, Entlassungen waren die Folge, bis schließlich am 28.Mai 1930 durch Beschluß der Generalversammlung die Gesellschaft aufgelöst und die Liquidation eingeleitet wurde. Die Warenbestände wurden veräußert und das Geschäft in der Poststraße 2 1931 geschlossen. Das Ende der Firma Gebrüder Wertheimer.

    Die Kaufmannswitwe Rosalie Wertheimer bewohnte bis 1933 die Familienwohnung am Roßmarkt 12, zog im darauffolgenden Jahr mit zu Adolf Wassermann auf die Kurfürstenstraße 10 in Chemnitz.

    Adolf Wassermann hatte rechtzeitig die Liquiditätsprobleme erkannt und schuf sich mit der 1929 eröffneten Schauburg, dem Lichtspielhaus auf der Augustusburger Straße 31, ein zweites Standbein. Die Geschichte des Kinos wird in seiner Entstehung im verlinkten Beitrag behandelt.

    Für die 2. Tochter Abraham Wertheims, Alice, die 1918 den Arzt Dr. Kurt Siegfried Glaser ehelichte, wurde 2019 in der Chemnitzer Clara-Zetkin-Straße 1 ein Stolperstein verlegt.

    (Quellen: diverse Chemnitzer Adressbücher und Zeitungsartikel sächsischer Tageszeitungen, Buch „Deutschlands Städtebau Chemnitz“ – 1923; jeweils zu finden unter SLUB-Dresden.de; u.a.)