Die Entwicklung der Königstraße bis zum Ersten Weltkrieg wurde in den vorangegangenen Beiträgen bereits skizziert.
Der gewaltige Aufwärtsentwicklung der Stadt Chemnitz war durch den Ersten Weltkrieg vorerst zum Erliegen gekommen. Not und Mangel machte sich in diesen Jahren bemerkbar. Historiker schätzen diese „Atempause“ als hilfreich für die Weitergestaltung der Innenstadt ein. Bereits während der Kriegszeit wurden Erkenntnisse gewonnen, die darauf hindeuteten, den städtebaulichen Aspekt mehr in Richtung Zweckmäßigkeit zu betrachten. Das aufkommende Konsumzeitalter hatte den Bau immer größerer und aufwendigerer Geschäftshäuser vorangetrieben, die nun – der Inflationszeit geschuldet – nichts mehr von den Zeiten des florierenden Handels spürten. Sparmaßnahmen allerorts ließen das bürgerlich Leben vorerst auf ein Minimum schrumpfen. Die Stimmung war gedrückt.
Auch auf der Königstraße sah man tagtäglich das oft namenlose Elend der Erwerbs- und Arbeitslosen, die den nächsten Tagen und Wochen voller Verzweiflung und Angst entgegenblickten. Ganz Chemnitz schien ausverkauft, Makkaroni, Mehl, Kartoffeln waren in keinem Laden erhältlich, Waren wurden nach imaginären Zahlen bewertet und angeboten. Zögerte man zu lange, musste man schon in den nächsten Stunden mit einem weiteren Aufschlag von 100 Prozent rechnen. Die Händler waren mehr mit der Jonglage der Preise und der Sintflut von bunten, bald wertlosen Papierscheinen beschäftigt als mit dem eigentlichen Verkauf. In langen Ketten standen Frauen und Kinder vor Milch- und Fleischerläden. Wer das Geld nicht sorgsam abgezählt bereithielt, durfte überhaupt nicht auf die Befriedigung seiner Wünsche hoffen. Auch auf der einst so geschäftigen Königstraße öffneten die Läden nur noch stundenweise am Tag.
Erst mit der Einführung der Rentenmark Ende 1923 und der Reichsmark am 30. August 1924 kehrten Ruhe und Stabilität zurück. Die Einkaufsstraße erstrahlt allmählich wieder in altem Glanz und neuem Licht. Einen Eindruck vom nächtlichen Bummel dazu habe ich im Beitrag „Einkaufsbummel am Abend“ bereits 2021 veröffentlicht.
Ab 1926/27 sehen wir wieder Investitionen auf der Königstraße. Die Firma Königsfeld um Theo Abraham erwarb das Gebäude an der Ecke zur Teichstraße und baute es gemeinsam mit dem bestehenden Gebäude in nur 6 Monaten (!!) zu einem großen Warenhaus um. Dieses prägte bis 1945 das Bild der Königstraße.
Schräg gegenüber wurde aus dem Kaufhaus Schlesinger zunächst das Textilkaufhaus Scholvin und ab 1935 das „Deutsche Familien-Kaufhaus (DEFAKA)“. Auch hier sind im Bildvergleich mit den alten Aufnahmen die Modernisierungsmaßnahmen an Fassade und Dach erkennbar. Der Zierrat und Gebäudeschmuck wurden entfernt und durch die Geradlinigkeit der Moderne und Zweckmäßigkeit ersetzt.
Neben den beliebten alteingesessenen Geschäften eröffneten neue dem Zeitgeist entsprechende Einkaufs- und Verweilmöglichkeiten. Ab 30. August 1930 finden wir an der Ecke zum Johannisplatz eine Filiale des Schuhwarenhauses J. Speier AG – ein Großunternehmen mit 40 Niederlassungen des deutschen Schuhhandels – die nach großem Umbau des alten „Reichskanzlers“ entstand. 8 große Schaufenster gaben Raum zur Ausstellung von hunderten Paar Schuhen aus dem reichhaltigen Sortiment. Auch das Versandgeschäft mit einem eigenen Lieferwagen spielte eine große Rolle dieser unter jüdischer Leitung stehenden Firma, die schließlich 1938 arisiert wurde.
An der Ecke zur Brückenstraße hatte sich 1929 mit der „Nordsee“ eine neue Art von Lebensmittelgeschäft niedergelassen: eine Fischgroß- und Kleinhandlung. Filialen davon gibt es heute noch in fast jeder großen deutschen Stadt. Schräg gegenüber konnte man im ebenfalls 1930 eröffneten modernen Adler-Automaten etwas für den kleinen Hunger zu sich nehmen. Nur wenige Schritte weiter hielt das Café Michaelis eine Vielzahl süßer Leckereien für seine Gäste bereit. Dazwischen befand sich das gesamte Spektrum des Einzelhandels, das von den Chemnitzern dankend angenommen wurde. Am Ende der Königstraße, Haus Nr. 25, fällt uns noch die markante Werbung des Uhrmachermeisters Karl Remmert auf. Bis 1910 hatte er sein Geschäft am Brühl, doch der Umzug im selben Jahr auf die Königstraße war für sein Geschäft mehr als zuträglich.
Die Chemnitzer Geschäftswelt verlor 1945 viele der hier genannten Firmen. Sie waren beliebte Einkaufsmöglichkeiten auf der quirligen Magistrale und sind bis heute in unserem Gedächtnis verankert. Die hier gezeigte Vielfalt in Bildern soll als Erinnerung weitergegeben werden.
(Quellen u.a.: Chemnitzer Adressbücher, zu finden unter SLUB-Dresden.de; Sammlung der Chemnitzer Hobbyhistoriker)