Die hier vorgestellte Bretgasse gehörte zu den kürzesten, aber auch zu den ältesten und interessantesten Straßen der Chemnitzer Innenstadt. Die mittelalterliche Gasse, zugehörig zum einstigen Chemnitzer Viertel, führte ursprünglich vom Markt bis zur heute nicht mehr existierenden Lange Straße, das heißt, sie endete vor dem erhalten gebliebenen Gebäudeteil des am 1.Dezember 1859 eingeweihten Hauptpostamtes. Heute ist sie bis zum Gleisbett der Bahnhofstraße verlängert.
Vor 1526 ist sie noch ein Teil des Marktes, ab diesem Jahr wird sie als „Klein geßlein nach der Langgasse“ genannt, 1550 „Im Brethgessel“ ,1597-1709 „Im Gäßel“, seit 1710 „Brethgässel“, als „Bret-Gäßchen“ in dem vom Geometer Johann Paul Trenckmann im August 1761 gezeichneten „Grund-Riss des Weichbildes der Stadt Kemnitz“ dokumentiert. Dabei sind eingangs und ausgangs der Bret-Gäßchens zwei Wasserkästen eingezeichnet. Ab 1822 -1860 wurde das „Bretgäßchen“ in den Adressbüchern verzeichnet, seit 1861 dann als „Bretgasse“.
Schwieriger ist es schon, die Herkunft des Namens zu deuten. Der Historiker Emil Weinhold führt ihn darauf zurück, dass in Pestzeiten im Mittelalter Ein- und Ausgang der Gasse durch Bretterverschläge gesperrt wurden, um eine Ausbreitung der furchtbaren Krankheit zu verhindern. Im Adressbuch der Industrie- und Handelsstadt Chemnitz 1923 hingegen ist von „Breiter Gasse“ als Gegensatz zu anderen schmaleren Gässchen, wie das Marktgässchen, die Rede. Nach dem Schocksteuerregister von 1717 umfasste die Bretgasse 13 Grundstücke, von denen 12 Handwerker in Besitz hatten: „3 Schuster, 2 Riemer, Schleifer, Tuchscherer, Buchbinder, Bäcker, Tischler, Sattler, Seiler je 1“.
Um die Gasse ranken sich auch tragische und natürlich ebenfalls merkwürdige Ereignisse. Im Dreißigjährigen Krieg verzeichnet die Pinther‘sche Chronik (1855 verfasst) unter dem 12. April 1634, „eine von Mordbrennern zwischen 11 und 12 Uhr im Bretgäßchen bei Hans Rößler angelegte Feuersbrunst“, die 144 Häuser der Stadt, das Gebiet zwischen Lange Gasse, Roßmarkt und Markt, in Schutt und Asche legte.
Von dem an der Ecke Markt/Bretgasse stehenden Haus, dem „Römischen Kaiser“, waren die Fenster nach der Bretgasse hin zugemauert. Und damit hatte es der Sage zufolge folgende Bewandtnis: In diesem Haus lebte im 17. Jahrhundert der Advokat Seidelmann. Er war wegen seiner Grausamkeit gegenüber den Armen berüchtigt. Zur Strafe fand sein Geist nach dem Tode keine Ruhe und erschreckte die Vorübergehenden mit seiner Fratze an den Fenstern. Daraufhin wurden die Fenster zugemauert. Doch der Geist Seidelmanns rumorte, der Sage nach, im Haus weiter, bis er endlich durch den Stadtpfarrer in die Seidelmannhöhle nach Glösa verbannt wurde.
An der Wende zum 20. Jahrhundert führte die Bretgasse den Spitznamen „feuchte Gasse“. Denn die Untergeschosse von sämtlichen rechtsseitigen Häusern wurden von Schankstätten eingenommen:
die Weinstube Emil Hartenstein (Nr.2), die Schäfer‘sche Schankwirtschaft (Nr.4), die Weinstube Reh (Nr.6), das Hotel „Europäischer Hof“ ehemals „Zum Walfisch“ (Nr. 8/10) und Erich‘s Bierstube (eigentlich Bierhaus und Bierverlag Franz Erich in Erlangen – Nr.12). Dazu kamen noch auf der gegenüberliegenden Seite die Weinstube von Kornmann (Nr.3) und die seit 1868 bestehende Bierhandlung und Hofbräustüb‘l von Karl und Johannes Lampert. Ergänzend dazu finden wir den 2. Hoflieferanten der Stadt, den Kammmachermeister Kräblin in der Bretgasse Nr.9 in den Adressbüchern. Das Spezial-Haus in Kamm-, Horn- und Bürstenwaren, Feinseifen und Parfümerien, seit 1842 in Chemnitz, stattete die Sächsische Königin mit Toilettenartikel aus.
Auf der linken Seite erhob sich eingangs der Bretgasse das Modehaus Simon, dann ab 1912 ein ansehnliches Jugendstilgebäude. In ihm befand sich bis 1945 ein Kino. Als „Kammerlichtspiele“ eröffnet, später „Astoria“, „Zentrum- Lichtspiele“ und „Filmeck“ genannt. Das Gebäude überlebte als einziges den Luftangriff. Es wurde danach zum Stadthaus, darin befanden sich neben staatlichen Einrichtungen u.a. eine Wohnungstauschzentrale und eine Chemische Reinigung.
Noch bis 1965 finden wir Bilder von Ruinen der Häuser in der Bretgasse, erst wegen Baufälligkeit geräumt, dann wohl zur Verschönerung der Innenstadt im Zuge der 800-Jahrfeier entfernt.
An deren Stelle entstand als Neubau das Zentrallabor für Elektrogeräte. Dennoch ist die Bretgasse in DDR-Straßenverzeichnissen und -Stadtplänen bis 1989 nicht aufgeführt. Der Straßenname taucht erstmals 1991 in der „Citykarte Chemnitz“ wieder auf.
Inzwischen hat sich die Bretgasse – trotz der ab 1995 begonnenen Sanierung und den errichteten Neubauten – zu keinem attraktiven Teil der Chemnitzer Innenstadt entwickelt. Einige Geschäfte und Einrichtungen machen sie nur noch für Wenige attraktiv. Hier lädt nichts zum Verweilen ein, keine Gastronomie, Hinterhofatmosphäre. Auf dem Platz an der Alten Post hatte das von Silke Rehberg geschaffene Mahnmal (im Volksmund „die Scheibe“), das 1995 zum 50. Jahrestag des furchtbaren Luftangriffs auf Chemnitz eingeweiht wurde, schon im Dezember 1996 wieder nach einem Anfahrschaden ausgehaucht. Eine Digitaluhr sollte den momentanen Zeitpunkt seit dem schrecklichen Ereignis angeben. 2011 mottete die Stadt das Objekt ein, 155.000 € in den Sand gesetzt.
Bezeichnend dafür auch die im Rahmen der temporären Projektes „Gegenwarten 2020“ geschaffene Installation „Neun neue Gärten“ auf selbigem Platz, die als ebenso gescheitert gesehen werden kann. Die Sitz- und Aufenthaltsmöglichkeiten sollten die Menschen zum Verweilen einladen und eine neue, lebendige Atmosphäre schaffen. Kräuter, Beeren und Kürbisse sollten geerntet werden. Heute nur noch verwahrlost und sich selbst überlassen, zeugt es wie so oft von der Sinnlosigkeit solcher Aktionen und verschwendeten Steuermitteln.
Mehr zu anderen alten Gassen in Chemnitz in meinem Beitrag: Ehemalige Gassen im alten Chemnitz
(Quellen: Artikel von W. Bausch im Cityjournal 2002; Artikel im Zschopauer Anzeiger 1901; Chemnitzer Adressbücher, zu finden unter SLUB-Dresden.de u.a.; Bildsammlung Uwe Kaufmann)