Viele einst stadtbildprägende Kunstwerke in Chemnitz und Karl-Marx-Stadt ereilte dasselbe Schicksal: sie wurden eingeschmolzen, demontiert, eingelagert, vergessen oder zerstört. Den Zipperbrunnen auf dem Neumarkt/Bernsbachplatz, die Jägerin an der Kassbergauffahrt und das Vater-August-Denkmal am ehemaligen Neustädter Markt habe ich in Beiträgen bereits vorgestellt. Sie verschwanden für immer, obwohl sie erhaltenswert waren und sind. Jüngstes Beispiel ist der schrottreife Brunnen am Klinikum Chemnitz, der einst als begehbares Wasserspiel den Eingangsbereich des Krankenhauses zierte.
Das Brunnenbuberl
Die „Große Deutsche Kunstausstellung“, die von 1937 bis 1944 jährlich im damaligen Haus der Deutschen Kunst in München stattfand, galt als bedeutendste Werkschau und Verkaufsausstellung „deutscher“ Kunst.
1941 war Gustav Adolf Bredow (geb. 22. August 1875 in Krefeld – gest. 23. April 1950 in Stuttgart) mit dieser Brunnenanlage Brunnenbuberl, angeboten in Bronze und Stein, und einer Kindergruppe in München vertreten. Der Bildhauer Bredow orientierte sich ganz an der Kunst des 19. Jahrhunderts und war damit bis weit in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgreich. Besonders um 1910 wurden seine Bauplastiken ausgezeichnet und erfreuten sich, wie auch seine kleineren Werke, großer Beliebtheit. Neben diesem Brunnenbuberl gab es eine ähnliche Figur, den „Brunnenputte“, vermutlich als Pendant im gleichen Jahr entstanden – ein Putto mit Gießkanne, der sich nur als Fotodokument im Haus der Kunst in München erhalten hat.
Das Brunnenbuberl war ein pausbäckiges, sprudelndes Kerlchen, ca. 80 cm groß, das sein Hemdchen lüftete und genau das tat, was sein weltberühmter Bruder, das Brüsseler „Männeken Piß”, seit Jahrhunderten unermüdlich zu tun pflegt. Er stand auf einem quadratischen Wasserbecken aus Muschelkalk, die Wasserzuführung für sein bestes Stück hatte er im rechten Fuß, zudem vierseitig lief das Wasser durch schmale Röhren aus seinem Sockel.
Auch Chemnitzer Künstler waren 1941 auf dieser Kunstausstellung vertreten: Die Maler Rudolf Pleißner (1889 – 1977), Bernhard Paul Mehnert (1892 – 1964) und Carl Lange (1884 – 1971) sowie der Bildhauer Emil Mund (1884 – 1954), die alle auch der Chemnitzer Künstlergruppe unter Alfred Kunze angehörten, und der Bildhauer Hanns Diettrich (1905 – 1983).
Der damalige Oberbürgermeister Schmidt reiste in diesem Jahr nach München und besuchte die Ausstellung. Er muss von dieser Brunnenplastik begeistert gewesen sein, die schon rein künstlerisch einen besonderen Rang unter den dort ausgestellten Plastiken einnahm. Er kaufte deshalb eine Fassung des Brunnenbuberls am 15. Oktober 1941 zum Preis von 4.700 Reichsmark für die Stadt an. Nicht nur, um unser Stadtbild um ein plastisches Kunstwerk zu bereichern, sondern auch, um allen Mitbürgern, die sich ihren Humor und ihr heiteres Gemüt bewahrt haben, eine Freude zu machen.
Die Brunnenanlage erwarben außer Chemnitz auch der Oberbürgermeister von Nürnberg Willy Liebel (1897-1945) die damalige Regierung des Generalgouvernements Krakau (für die besetzten polnischen Gebiete) sowie eine unbekannte Privatperson.
Neben dem Brunnenbuberl kaufte Oberbürgermeister Schmidt weitere Exponate für die Stadt: den „Pimpf mit Trommel“ von Bernhard Lohf für 7.500 RM, die kniende Figur „Deutsche Waffe“ von Hans Lauterbacher für 7.000 RM, das Ölbild „In der Küche“ von Harry Detert für 1.400 RM und das Ölbild „Holzhauer am Feuer“ von Hans Zeitner für 3.500 RM. Diese Liste geht auf Auszüge aus den Kontobüchern im Archiv des Hauses der Deutschen Kunst zurück. Sie sind unter der Verkaufsnummer 319 zusammengefasst und ergeben die Summe von 24.100 Reichsmark.
Dem Kontenblatt von Gustav Adolf Bredow kann man entnehmen, dass die Figur (Katalog Nr. 100) viermal und zu unterschiedlichen Preisen verkauft wurde. Die Preisgestaltung richtete sich nach der Ausführung (Material) der Figur. Die unter der Verkaufsnummer 319 angegebene Summe von 4.230 Reichsmark war das Honorar für den Künstler, dazu kamen 10 Prozent (470 Reichsmark), die an das Haus der Deutschen Kunst als Verkaufsprovision gingen. Aus dem Honorar und der Verkaufsprovision errechnete sich der Verkaufspreis von 4.700 Reichsmark. Die Debitorennummer (D) 364 wurde für die Ankäufe des Oberbürgermeisters der Stadt Chemnitz vergeben (vgl. Grafik).
Die erworbene Bronzefigur wurde für Chemnitz jedoch nicht ausgeführt. Wegen der durch den Zweiten Weltkrieg eingeschränkten Materialreserven wurde die Figur erst 1942 in Zinkguss mit einem bronzeähnlichen Überzug zusammen mit dem Brunnenbecken geliefert (Akte, Stadtarchiv Chemnitz, 3143 Bd. II, Bredow), Inventarisierung in der Städtischen Kunstsammlung.
Aufgrund der Kriegsereignisse erfolgte keine Aufstellung am vorgesehenen Standort, der Grünfläche zwischen Kaßbergauffahrt, Theaterstraße und Markthalle in Chemnitz, sondern zunächst eine Einlagerung im Hochbauamt der Stadt. Laut einem Vermerk im Inventarbuch am 15. Juli 1945 aus dem Museum ausgeschieden, 1963 bei einer Inventur allerdings vorhanden.
Nicht bekannt ist derzeit das genaue Aufstellungsdatum. 1960 wurde das Ensemble im Buch „Karl-Marx-Stadt – Kleine Städtereihe Nr. 6“ vom Sachsenverlag auf dem Vorplatz des zwischen 1929 und 1935 errichteten Stadtbades gezeigt.
Da sie Beschädigungen ausgesetzt war, wurde die Plastik Anfang 1974 vom Standort entfernt und im Stadtbad eingelagert. Gemeinsam mit dem Büro „Bildende Kunst“ des Rates der Stadt wollte man die Figur fachgerecht restaurieren lassen. Aufgrund des Materials erwies sich dies jedoch als schwierig. Nach der geplanten Rekonstruktion des Stadtbades sollte sie wieder aufgestellt werden: in einer Variante an ihrem ursprünglichen Standort, in einer zweiten Variante innerhalb des Froschbrunnens im Innenhof. Dies berichtete die Freie Presse in Artikeln von 1978 und 1979. Beides geschah jedoch nicht, bei der Schließung des Stadtbades im September 1980 war die Skulptur immer noch unrestauriert und der Sockel vorhanden, wie ein Denkmalpfleger vermerkte.
Zeitzeugen berichten, daß im Zuge der Sanierung des Stadtbades 1981-1983 die übriggebliebene Brunnenanlage abgebaut wurde. Das Becken, der Brunnenschacht als auch die zuführende Wasserleitung waren beschädigt, eine Sanierung wohl nicht geplant. Am 1. März 1983 übergab dann der Sportstättenbetrieb die Plastik an das Büro für architekturbezogene Kunst, Karl-Marx-Stadt und wurde dort eingelagert. Der Wert wurde seinerzeit mit 4.000 Mark angegeben.
1988 erfolgte schließlich die Aufstellung der Figur mit einem neu entworfenen Wasserbecken vor der Brühl – Kaufhalle (heute Edeka), damals Karl-Liebknecht-Straße, heute Georgstraße. Vermutlich in Vorbereitung des zentralen Pioniertreffens der DDR, das im August mit weit über 100.000 jungen Gästen in Karl-Marx-Stadt stattfand. Leider erfreuten sich die Bürger nur kurze Zeit an diesem Anblick, 1990 wurde das Kerlchen zerstört, blinder Vandalismus, unverständlich… Der zerstörte Guss wurde eingelagert, eine Restaurierung galt damals als zu kostspielig. 2002 wurde das Brunnenbecken abgebaut. Die 9 Fragmente der Brunnenfigur befinden sich seit 2010 wieder im Depot der Kunstsammlungen Chemnitz.
Wird es gelingen, das Brunnenbuberl aus seinem Dornröschenschlaf zu erwecken und an einem würdigen Platz in Chemnitz aufzustellen? Herr Schmalfuß hat mit dem Wiederaufbau des Bärenbrunnens in der Börnichsgasse dank vieler Spenden ein erstes Zeichen gesetzt, dass Kunstwerke wieder im Stadtbild zu sehen sind. Ich würde mich freuen, wenn ich dazu beitragen könnte, dass dieser trollige Bursche wieder einen Platz in der Chemnitzer Innenstadt bekommt.
(Quellen: Türmer von Chemnitz Heft 2/1942; GDK Research – Bildbasierte Forschungsplattform zu den Großen Deutschen Kunstausstellungen 1937-1944 in München; Kunstsammlungen Chemnitz: Plastiken – Skulpturen – Objekte. Bestandskatalog S. 44/45; Unterlagen im Bestand des Stadtbades; Archiv der Stiftung Haus der Kunst München; versch. Ausschnitte der Freien Presse; u.a.)