Ein Blick nach Karl-Marx-Stadt Ende der 50er Jahre. Diese Dia-Aufnahmen zeugen vom Zustand der ehemaligen Innenstadt. Für die Nachkriegsgeneration sollte dieser Blick Jahrzehnte andauern.
Über 85 % der Chemnitzer Innenstadt waren durch die Bombenangriffe im 2.Weltkrieg zerstört worden. Ab 1945 hatte man begonnen, die in Ruinen liegende Innenstadt in freiwilligen Arbeitseinsätzen von Schutt und Asche zu befreien. Anreiz dafür waren hauptsächlich die Lebensmittelrationen, die dazu versprochen wurden, und die Bekanntmachung, wer sich nicht daran beteiligt, von der Nutznießung aller künftigen Wiederaufbauarbeit ausgeschlossen zu werden. Lange dauerte es, bis die riesigen Brachflächen mit Schutt, Provisorien und Baubaracken beseitigt waren. Das Wiederaufbauprogramm sah zunächst die Instandsetzung beschädigter Gebäude zur Wohnnutzung vor, nur wenige Neubauten entstanden in dieser Zeit.
Folgen Sie mir bei diesem historischen Rückblick auf das Stadtbild vor ca. 65 Jahren.
Hätten sie es auf den ersten Blick erkannt?
Wir schauen in fast nördliche Richtung. Vor uns liegt unten die Theaterstraße und versteckt in Bildmitte hinter den Bäumen der Friedrichplatz. Von diesem geht nach links die ehemalige Friedrichstraße ab, auch die Einmündung der Louis-Hermsdorf Straße ist zu erkennen. Die Baumallee ist die Mühlenstraße, die uns den Weg zum Stadtbad und den Schornsteinen des Elektrizitätswerkes an der Nordstraße weist. Rechts in Bildmitte das König-Albert-Museum, dahinter der Turm der Petrikirche und daneben das 1952 wiedereröffnete Opernhaus.
Was für ein Verkehr zu dieser Tageszeit im Karl-Marx-Städter Zentrum!
Den ersten Anhaltspunkt gibt uns links der Rote Turm, 1950 hatte er als erste Sicherung ein Flachdach erhalten. Unten in Bildmitte muß die aus der ehemaligen Fr.-August-Straße kommende Bahn auf die Einfahrt in die viel befahrene Königstraße warten. Von links kommt die Theaterstraße, die in den rechts liegenden Johannisplatz einmündet.
Genau an dieser Kreuzung standen die einstmals berühmten Modehäuser von Carl Diederich und Bruno Schellenberger. Das Hotel Stadt Gotha empfängt schon lange keine Gäste mehr.
Das markante Gebäude in Bildmitte ist das der „Volksstimme“ an der Brückenstraße, dem Vorgänger der „Freien Presse“. Rechts die obersten Stockwerke des Kaufhauses von Salman Schocken. Am linken Rand noch die verbliebenen Gebäude an der Gartenstraße (Kaufhaus Hochmuth und die Kronenapotheke), die beide der späteren Bebauung an der Straße der Nationen zum Opfer fallen.
Getreidemarkt und Paulikirche vom Kassberg aus.
Der Schornstein gehört noch zur ehemaligen Färberei Paul Drechsler AG Theaterstraße 74/76. Links das 1909 errichtete Verwaltungsgebäude des Städtischen Elektrizitätswerkes und dahinter Richtung Getreidemarkt, die ab 1929 nach Entwürfen von Fr. Wagner-Poltrock errichtete Umformstation.
Rechts keimt noch einmal Hoffnung: 1957 erhielt die Paulikirche ihr schiefergedecktes Turmdach zurück, doch der komplette Wiederaufbau scheiterte. Am 15. März 1961 wurde die Kirche zugunsten des geplanten Wohnungsbaues an der Theaterstraße gesprengt und die Trümmer innerhalb weniger Tage beseitigt. Der Hohe Turm am alten Rathaus wurde zunächst ohne Turmhaube aufgebaut, diese erhielt er erst 1986 zurück.
Vom Rathausturm blicken wir in Richtung Süden.
Die markante Gebäude auf dieser Aufnahme standen alle an der Kronen- und Poststraße. Links erkennen wir das Kaufhaus Tietz, daneben das Gebäude der Reichsbank, in stadtauswärtiger Richtung die Reitbahn- und Moritzstraße, davor das einzeln stehende Gebäude des ehemaligen Telegrafenamtes und rechts die Hauptpost. Der mittlere Teil des Bildes wurde später abgerissen um der großzügigen Bebauung der Zentralhaltestelle Platz zu machen.
Weiter nach rechts geht unser Blick Richtung Altchemnitz.
Vorn die Lange Straße mit dem alten Postamt 1 (Nr.40), gegenüber mündet die Bretgasse am unteren Rand. Genau in Bildmitte erkennen wir den Abzweig der Annaberger Straße von der Poststraße. Das Gebäude der Chemnitzer Neuesten Nachrichten (später Kammer der Technik) ist erhalten geblieben.
Die Altbebauung mittig rechts zwischen Post- und Lange Straße wird Ende der 60er Jahre dem Rosenhof weichen.
Unschwer in Bildmitte wieder zufinden: das Gebäude der Deutschen Bank, das wie die Gebäude der Feuerwache an der Schadestraße (links) und der Sparkasse (rechts davon), keine nennenswerten Schäden davongetragen haben. Schön auch noch am rechten unteren Bildrand die Verkehrsführung auf dem ehemaligen Roßmarkt zu erkennen. Die 2 übrig gebliebenen Gebäude sind die ehemalige Nikolaistraße 2 (Bristol) und 6/8 (Fa. Döhner Strumpfwaren).
Links einzeln das Gebäude Lange Straße 14, das Manufakturwarengeschäft von S.Boas. Heute hier ebenfalls alles der Rosenhof.
Es freut mich immer wieder, wenn mir Personen, wie hier Herr Günter Rannig, anbieten, an ihrem gesammelten Material Anteil zu haben und mir diese zur Verfügung stellen. An dieser Stelle noch einmal vielen Dank für das positive Feedback zur Durchführung dieses Projektes und den zahlreichen „Informanten“, die Beiträge, Fotos, Bücher und Dokumente zur Wahrung der Chemnitz-Karl-Marx-Städter Geschichte beisteuern.