Im ersten Teil bin ich auf die frühen Jahre der Firma Herm. Riemann eingegangen.
Otto Riemann reiste um die Welt und zeigte das Produkt-Sortiment weltweit auf verschiedenen Messen und erntete dafür zahlreiche Preise, so 1897 in Leipzig und in Brisbane (Australien). Schnell entwickelte sich das Exportgeschäft. Für die Produkte folgten weitere Preise in München (1899), Paris (1900), Frankfurt/M. (1900), Hamburg (1901) Groningen (1903) und Mailand (1906). Dazu kamen Preise auch 1910 in Brüssel (Grand Prix) und 1911 in Turin (2 Grand Prix). Die Firma galt zu Beginn des 20.Jahrhunderts als Bedeutendste weltweit in dieser Branche.
1896 erfolgten bereits wesentliche Vergrößerungen der Fabrik. Das Kontorgebäude wurde errichtet, Otto Riemann zog mit seiner Familie in diesem Jahr dort ein.
Die wirtschaftlichen Erfolge bedingten auch Veränderungen in der Geschäftsführung. Am 29.12.1897 wurden Eugen Heinrich Lange (späterer Ehemann von Schwester Elisabeth) und Richard Rudolph neue Prokuristen der Firma. Zum Jahresende 1904 wurde Carl Hermann Born Prokurist. Richard Rudolph schied im Dezember 1905 aus, ihn ersetzte der jüngste Sohn und Techniker Paul Georg Riemann (geb. 8.8.1877).
Paul Riemann, vorher ebenfalls angestellter Prokurist, wurde zum 1. Januar 1906 neuer Gesellschafter des Familienbetriebes, seine vorherige Prokura erlosch mit diesem Tag. Ihm folgte der Kaufmann Karl Willy Ufert.
1898 beschäftigte man bereits 300 Arbeiter und Arbeiterinnen. Stetig erhöhte sich mit dem geschäftlichen Erfolg auch die Belegschaftsanzahl. So kletterten die Zahlen über 400 (1900), 650 (1906), 750 (1908) auf fast 1.000 Angestellte im Jahr 1913.
Mit der Eingemeindung von Gablenz zur Stadt Chemnitz am 1. April 1900 änderte sich die Firmenanschrift in Fürstenstraße 83. 1902 entstand nach Plänen des Chemnitzer Architekten Alfred Zapp ein Erweiterungsbau des Kontor- und Lagerhauses.
Bereits 1899 wurden erstmals Motorwagen-Laternen beworben, 1902 kommt dann für die aufkommenden Automobile die Laternen-Produktion hinzu. Kunden werden u.a. namhafte deutsche Automobilfirmen wie Horch und Maybach, die sich auf die hohe Qualität der Scheinwerfer verlassen konnten.
Als Höhepunkt der Firmengeschichte kann man den Besuch des Sächsischen Königs Friedrich August am 2.März 1905 im Fabrik-Etablissement bezeichnen, der seine größte Zufriedenheit über die vorzüglichen Einrichtungen und Produkte ausdrückte. Bei einem Rundgang durch die Muster-, Kontor- und Fabrikräume des Hauses erregte die außerordentliche reichhaltige Kollektion in Automobil-, Motorrad- und Fahrradlaternen, sowie allen Zubehörteilen, Sr. Majestät Bewunderung.
Otto Riemann besaß eine unermüdliche Schaffenskraft und hat seine großen geschäftlichen Erfahrungen auch noch verschiedenen Aktiengesellschaften zur Verfügung gestellt.
Bereits 1897 gründete er mit weiteren Geschäftspartnern wie Bruno Zirrgiebel in Leipzig die „Lipsia-Fahrrad-Industrie, Aktiengesellschaft“, Berlinerstrasse 69. Er beschaffte seiner Firma dadurch weitere Absatzmärkte und schloss Ausrüsterverträge ab. Diese Firma wurde im Jahre 1900 von der „Carl Kästner AG, Geldschrank- und Tresorfabrik“, Leipzig geschluckt. Riemann blieb aber bis 1907 dort Aufsichtsratsmitglied. Ab Dezember 1904 saß er auch im Aufsichtsrat der „Wanderer-Fahrradwerke vorm. Winklhofer & Jänicke“. Man kann sich vorstellen, wer ein wichtiger Erstausstatter für die Schönauer Fabrik war. Ab 1. Februar 1907 finden wir ihn auch als Gründer und Aufsichtsratsmitglied der „Sächsischen Werkzeugmaschinenfabrik Bernhard Escher AG“.
Otto Riemann hat sich auch außer seiner geschäftlichen Tätigkeit in ganz besonderer Weise gemeinnützig betätigt. Er war Vorstandsmitglied des „Altmütterchen Heims“ und der „von Zimmermann‘schen Stiftung“, ferner hat er dem Kirchenvorstand der Andreas-Gemeinde in Chemnitz viele Jahre Kraft und Zeit gewidmet. Gutwillig spendete er regelmäßig für Notleitende und gab Sachspenden. So erhielt der Posaunenchor des Jünglingsverein Chemnitz-Gablenz 1907 wertvolle Instrumente von ihm geschenkt.
Reichten 1898 noch 2 Dampfmaschinen von 60 und 25 PS zum Betrieb der 160 Arbeitsmaschinen aus, waren es 1911 eine Sauggas-Dynamo-Anlage und 2 Dampfmaschinen mit zusammen 250 PS, die die jetzt 400 Spezialmaschinen der stetig erweiterten Fabrik mit Energie versorgten. In der Firmenvorstellung von 1911 heißt es weiter: „Alle Räume sind elektrisch beleuchtet, mit elektrischer Zentral-Uhrenanlage und ausgebreiteter privater Telefonanlage versehen. Den Warentransport vermitteln eine Anzahl elektrisch betriebener Aufzüge. Für die Arbeiter und Arbeiterinnen sind Speise-, Wasch- und Baderäume, sowie Dampfkaffeekoch-Apparate vorhanden“
Im Nachbargrundstück Dietzelstraße 25 (heutige Hofer Straße) ließ sich Otto Riemann 1908 eine repräsentative Jugendstilvilla errichten, entworfen vom Chemnitzer Architekt Wenzel Bürger (u.a. stammen von ihm die Synagoge auf dem Kassberg, die Villa der Feldschlösschen-Brauerei Kappel und das Metropol-Theater). Bauausführender war die Chemnitzer Firma von Karl August Schäller (Körnerplatz 12). In den Jahren 1911 und 1912 folgten weitere Fabrikerweiterungen. Ein neues Maschinenhaus und der sogenannten „Riemann-Turm“ am Ostflügel entstanden, wieder nach Entwürfen von W. Bürger. Der 35 m hohe Turm diente ursprünglich als Wasserturm und schmückte ab 1913 bereits das Firmenbriefpapier.
In der Nacht zum 30. November 1912 starb nach langer schwerer Krankheit Otto Riemann. Er hinterließ neben seiner Witwe noch drei minderjährige Kinder (Hans, geb.1899; Fritz, geb.1902 und Heinz, geb. 1909). Die Witwe Johanne Helene verw. Riemann geb. Fröbel trat als Kommanditistin in das Handelsgeschäft ein.
Kurze Zeit später, wenige Tage vor seinem 70. Geburtstag, schloss auch der Vater und Seniorchef August Hermann Riemann für immer die Augen. Seit 1900 lebte er mit seiner Familie im Kontorgebäude und Firmensitz in der Fürstenstraße. Ab 1908 dann bis zu seinem Tode in der neuen Villa in der Dietzelstraße 25. Riemann, der fast bis zu seinem letzten Lebenstage eifrig geschäftlich tätig war, aber eher zurückgezogen zum Wohlergehen der Familie arbeitete, wurde mehrfach für seine Verdienste ausgezeichnet, u.a. vom Sächsischen König durch Verleihung des Ritterkreuzes 1. Klasse des Königs. Sächsischen Albrechtsordens. Am 17. März 1913 früh kurz vor 7:00 Uhr starb er nach kurzem Krankenlager. Er wurde ebenso im Familiengrab auf dem Städtischen Friedhof beerdigt.
(Quellen u.a. Adressbücher der Stadt Chemnitz und versch. Zeitungsartikel sächs. Blätter, zu finden unter SLUB-Dresden.de; Firmen- u. Warenzeicheneinträge aus dem Dt. Reichsanzeiger; Webseite sonnenberg-chemnitz.de mit den Veröffentlichungen der AG Sonnenberg des Geschichtsvereines Chemnitz e.V.; Zeitungsartikel und Annoncen versch. Radsportzeitschriften zu finden unter https://www.onb.ac.at u.a.)