Der Johannisplatz wäre wohl von den meisten Chemnitzern als erstes genannt worden, wenn man sie danach gefragt hätte, wo sich das Herz von Chemnitz befindet. Dies galt trotz oder vielleicht auch wegen des Großstadtverkehrs mit all seinen Problemen schon zur damaligen Zeit. Ein Rückblick auf die Entwicklung des nun völlig neu gestalteten Platzes.
Am 16. August 1860 berichtete das „Chemnitzer Tageblatt“ über die Bekanntmachung 215 des Rates der Stadt. Darin war festgelegt, daß der Platz von der Johannisgasse bis „Stadt Gotha“ und von der Königstraße bis zum Haus des Kaufmanns Bleyl die Bezeichnung „Johannisplatz“ erhält.
Dieser Platz entwickelte sich fortan zum verkehrsreichsten Platz der Stadt. Mit der Eröffnung der Pferdestraßenbahn am 22. April 1880 führte die erste Chemnitzer Straßenbahnlinie vom Bahnhof über Königstraße, Johannisplatz, Poststraße zur Nikolaibrücke. Schon im Juli 1880 kam die 2. Linie über die Theaterstraße hinzu, der Stadtring war geschlossen.
Ab 1893 erfolgte die Elektrifizierung der Straßenbahn im Stadtgebiet. Zwischen dem Johannisplatz und dem Markt wurde ab 31. Juli des Jahres eine Verbindungsstrecke durch die Innere Johannisstraße gebaut. Zunächst fuhren die Wagen nur vom Bahnhof bis zum Holzmarkt, ab 1900 weiter bis zur Nicolaibrücke, später auch bis zum Nicolaibahnhof.
Auf der südlichen Seite des Platzes mündete die Äußere Johannisstraße ein. Sie galt als wichtige Verkehrsstraße, um den Verkehr Richtung Dresdner, Augustusburger und Zschopauer Straße aufzunehmen. Die Poststraße bildete einen Teil des Innenstadtrings zum Umfahren des Marktes.
1901 wurde mit dem Durchbruch der Friedrich-August-Straße begonnen, die bisherige Einmündung der Königstraße in den Johannisplatz wurde zur Kreuzung. Ab 1903 fuhr die Straßenbahn durch diesen Abschnitt, der bereits zur Entlastung des Johannisplatzes angelegt worden war.
Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts erlebte der Platz seine Blütezeit. Zehntausende Chemnitzer und Besucher der Stadt nutzten täglich den Johannisplatz zum Umsteigen, denn hier kreuzten sich mehr als die Hälfte aller Straßenbahnlinien. Neben dem Potsdamer Platz in Berlin, dem Stachus in München und dem Postplatz in Dresden galt er als einer der am stärksten frequentierten Verkehrsknotenpunkte Deutschlands.
Rings um den Platz entstanden zudem stattliche Geschäftshäuser, Namen wie „Modehaus Schellenberger“ , „Carl Diederich“ und „Hotel Stadt Gotha“ sind vielen noch bekannt. Der Chemnitzer Bankverein errichtete hier 1911/12 sein neues Verwaltungsgebäude, postalisch Johannisplatz 4, das letzte erhaltene Gebäude der einstmaligen Bebauung, heute Sitz der Firmengruppe Kellnberger und der „Ratsstube“. Am 26. Mai 1914 wurden die „elektrischen Sonnen“ erstmals benutzt. 2 moderne große Bogenlampen erleuchteten ab jetzt die beiden großen Kreuzungen und den Johannisplatz.
Um den nach dem Ersten Weltkrieg zunehmenden Verkehr besser regeln zu können, wurde Ende Februar 1925 erstmals ein hölzerner Hochstand für einen Verkehrsposten an der Kreuzung zur Königstraße errichtet. Damit sollte erprobt werden, ob von diesem erhöhten Stand aus der Verkehr noch wirksamer geregelt werden kann als bisher von der Verkehrsinsel aus. Bei Bewährung waren im Interesse des öffentlichen Verkehrs ähnliche Hochstände auch für andere besonders wichtige Verkehrsknoten vorgesehen. Zur besseren Anpassung an das Straßenbild und der Haltbarkeit wurden die beiden Hochstände später in Eisen ausgeführt.
Zum Individualverkehr sowie zur Straßenbahn gesellten sich ab April 1926 auch die Fahrzeuge zweier städtischen Kraftwagenlinien, die ebenfalls am Johannisplatz hielten.
1928 sollte eine Verkehrsordnung die Probleme auf den längst zu engen Hauptverkehrsstraßen lösen. Der Johannisplatz durfte nur noch von Automobilen und Motorrädern mit Beiwagen befahren werden, sehr zum Ärger der vielen Lieferdienste und Telegrammboten, die mit ihren Fahrrädern schneller als alle anderen unterwegs waren. Auch das Problem des Fußgängerverkehrs über den Johannisplatz musste man lösen. Unterhalb des Verkehrsturmes an der Schellenberger‘schen Ecke wurde im Sommer 1928 ein Posten aufgestellt, der den Ängstlichen und Ungewandten, den Alten und Behinderten beim Überqueren behilflich sein sollte. Jetzt können wir auch die Anwesenheit der Polizisten deuten, die auf einigen Fotos an dieser Kreuzung zu sehen sind. Der ständig wachsende Autoverkehr und seine Regelung stellten die Verkehrspolizei am Johannisplatz vor immer größere Probleme. Im Juni 1929 ließ das Polizeipräsidium Chemnitz den Verkehrsturm abreißen und an der Kreuzung zur Königstraße eine automatische Ampelanlage errichten. Sie wurde am 9. Juli 1929 in Betrieb genommen, gleichzeitig wurde das Linksabbiegen auf den Johannisplatz verboten.
Zur Verkehrssituation in der Stadt schrieb man Anfang 1930:
„Die meisten unserer Hauptverkehrsstraßen sind so schmal, daß der Kraftverkehr an der Straßenbahn — dem dunkelsten Punkte unseres gesamten Verkehrsproblems — nicht vorüberkann, sondern hinter ihr herfahren und an den einzelnen Haltestellen warten muß. So fließt der Verkehr nicht, sondern stockt ewig und führt zu den berüchtigten Verkehrsverstopfungen an den Hauptverkehrspunkten. Das Tückischste aber sind die zahlreichen Wagenfallen unserer Hauptstraßen, die ständig dem auswärtigen Fahrer zum Verhängnis werden; eine Verschmälerung kurz vor Kreuzungen, so daß der Fahrer nicht mehr an der Straßenbahn vorüber kann und, mit den Verhältnissen nicht vertraut, falls er nur ein etwas höheres Tempo auf der Maschine hat, vor der Wahl steht, auf den Bürgersteig hinauf oder die Straßenbahn anzufahren. Was daraus werden soll, weiß man nicht. Heute zählt man schon bei normalem Durchschnittsverkehr in der Zeit von früh 7 bis abends 7 Uhr auf dem Falkeplatz rund 18.000, am Schauspielhaus rund 11.500, an der Lichtsignalanlage des Johannisplatzes rund 13.000 Fahrzeuge, zu denen noch 1.254 Straßenbahnzüge kommen, am Verkehrsturm Johannisplatz rund 14.500 und am Goldenen Anker rund 15.000 Fahrzeuge. Dazu kommt, daß das Zentrum der großen Parkplätze ermangelt, so daß die Fahrzeuge am Rande der Fahrbahn halten müssen und diese noch weiter einengen. Bei der Verkehrspolizei vertritt man selbst die Ansicht, daß der Fußgänger gut tue, nachmittags zwischen 5 und 7 Uhr den Johannisplatz überhaupt zu meiden, und dabei ist der Verkehr allein in dem letzten Jahre um 50 v. H. gestiegen. Was werden soll, wenn er über einem Jahre nochmals um 50 v. H. gestiegen sein sollte, das vermögen auch die heute noch nicht zu sagen, die die Verantwortung für die Verkehrsabwicklung in Chemnitz tragen. Jedenfalls ist dann die Verkehrskalamität zur Verkehrskatastrophe geworden.“
Anfang März 1932 wurde am Verkehrsturm an der Südostecke des Johannisplatzes eine neue Signalanlage errichtet. Sie sollte den Verkehr an der Kreuzung Poststraße, Innere und Äußere Johannisstraße regeln und bestand aus viermal drei Signallampen, die senkrecht über dem Verkehrsposten angebracht waren. Die Schaltung der Ampel erfolgte wegen des besonderen Verkehrsaufkommens manuell durch den Verkehrsposten.
Der Verkehr auf dem Johannisplatz – das war Chemnitz. Geblieben sind diese lebendigen Bilder der Platzbildung, laut, hektisch, für uns heute kaum vorstellbar. Nach den Bombenangriffen 1945 war er ein Trümmerfeld. Zwischen 1950 und 1961 hieß er vorübergehend Stalinplatz. Mit der Neugestaltung des Stadtzentrums verlor er Mitte der sechziger Jahre völlig an Bedeutung. Am 1. August 1963 fuhr die letzte Straßenbahn über den einst verkehrsreichsten Platz der Stadt.
Und für alle, die eine bleibende Erinnerung an diesen Platz besitzen möchten, empfehle ich den kürzlich erschienenen „Chemnitzer Kalender 2024 – Johannisplatz am Anfang des 20. Jahrhunderts“ aus dem Verlag Heimatland Sachsen. Erhältlich online unter heimatland-sachsen.de und im gutsortierten Fachhandel.
(Quellen u.a.: Betriebschronik der Straßenbahn Chemnitz 1980; Beitrag in „Linie 1 – Die Online-Zeitung der Straßenbahnfreunde Chemnitz e.V.“, Heft 4/2013; versch. Zeitungsausschnitte sächsischer Tageszeitungen zu finden unter SLUB-Desden.de)